PROSA

(Sergio Gobi)

Sie sagte: ich heiße Prosa
Und schlug die Beine übereinander
Eine dieser perversen und zärtlichen Gesten
Von Punkrock-Groupies
Zwei Anhänger am Rand des Bauchnabels
Die das Verlangen schüren
Die zum Rattern des Zuges tanzen
Im Kurs auf Wladiwostok

Ich heiße Prosa, sagte sie
Und mit einer Geste ihrer Hand
Verwandelte das Licht der Transsibirisch
Sie in Elfenbein
Ich hasse Gedichte mit Reimen
Der Reim ist pure List
Das schmutzige Fenster des Zuges
Spiegelte ihr Profil

Nenn mich einfach Prosa, sagte sie
Ich starrte ihr auf die Brüste
Mein Vater war ein französischer Dichter
Der Beste der ganzen Bande
Ich entzifferte die Tattoos auf ihren Ärmchen
Und dachte an ihren seltsamen Namen
Er war frei wie ein Mann, fügte sie hinzu
Und glücklich wie ein König

Er gab allem Namen
Und mich nannte er Prosa
Und entdeckte tausend Dinge
Die Einsamkeit, die Schiene
Sie steckte sich eine Gitane ohne Filter an
Und fuhr sich durchs Haar
Eine Herde Kamele vor dem Fenster
Lief ihr übers Gesicht

Ihr Schambein stets nah bei mir
Lebten wir in Hotels
Mit schweren Tischtüchern aus Schnee
In der Nähe von Sachalin
Dort streckt sich die Welt aus, sagte sie
Aber kommt nicht besonders weit
Wir drehten uns auf alten Spiegeln
Und erreichten Harbin

Widme Dich Deinem Beruf, sagte sie
Wie der Hunger oder der Tod
Ich habe dieses Glück noch nicht:
Gerade geboren
Ist die Welt nichts als Effekte
Ohne Objekt, ohne Grund
Der Zug rattert ohne Unterlass vor sich hin
Alles nur so ein Dahinrattern

Der Himmel ist gleichzeitig, weißt Du
Es gibt keinen Schritt nach dem anderen
Mein Vater verlor einen Arm im Krieg
Ich hab ihn nie gekannt
Wie lange wir schon unterwegs sind!
Das ist der sechste Tag
Ich hasse die Symmetrie, das Patt
Ich will raus hier!

Der Abend lösen ihr den Haarkranz
Zwischen der Mongolei und China
Danach dieser langsame, feine Nieselregen
Den man förmlich riechen konnte
Ich lehne mich ans Fenster ganz nah
An das gefrorene Mandschurien
Gegenüber meiner schlafenden Furie
Und ich sehe mich den Regen schauen


Übersetzung: Karin Betz

LA LUJANERA

(Sergio Gobi)

Die Lujanera war ein Mädchen der Unterwelt
schüchtern trüb dick dunkel
wohnte in der Santa Rosa Straße Ecke Gurruchaga
die dunkle Strähne wie ein kurzes Schwert
fiel über ihr etwas schielendes Auge
verriet ihr scheues Wesen
es ist nicht wahr, was man über ihre Vergangenheit erzählt
sie haben nichts zu tun und reden und reden
und die die sagen, dass sie ein Transvestit, ein Kerl war
haben keine Ahnung sind alle Bullen

Die Lujanera hatte mit dem Teufel zu tun
mit dem »Teufel« Ojeda (ich weiß wovon ich rede)
jener Schwarzhaarige der „Peron siegt“ an die Wand sprühte
ein guter Junge Linksaußen bei Platense
der »Teufel« sagt, dass sie sich bei Vollmond
in eine Sirene verwandelte
die er im See von Palermo ausführte
in tiefer Nacht als ob nicht wäre

Die Alten sagen, dass die Dicke eine Schande war
was für eine Sirene, eher ein Wal
verschlang mehr als einen Kerl aus Maldonado
wie verliebte Jonase
die sie sich in den Hüften wiegend sahen im „La Estrella“
konnten sie nie verlassen
und beschreiben sie wie man eine Landschaft schweigt
ausgehend von der Abwesenheit von einer Nicht-Reise

Man musste sie einfach in der Milonga planschen sehen
200 Kilo Fleisch und Seele
die dir auf Schritt und Tritt bis in den Tod folgten
und legte an dich, wenn du Glück hattest
die zwei Babyköpfe, in ihrem weiten Ausschnitt
die schwarze Haarsträhne im Trab schwebend

Man sagt, dass sie in einer jener Ballnächte
wie eine Heilige gekleidet kam
und inmitten einer unendlichen Drehung
die Kabel hinauf schwingend in den Himmel stieg
und so kam die Lujanera an dick und schön
bekam sofort eine Stelle als Stern
Gestirn das man bis heute noch sehen kann
mit dem Fernrohr von jener Ecke in „Palermo Viejo“


Übersetzung: Karin Betz, Katrin König-González

MILONGA DE LA CANGUELA

MILONGA DER MISERE
(Sergio Gobi)

Milonga der Misere
Bist aus durchsichtigem Schlamm
Wie das Wasser des Pfütze*
In Deinem Spiegelbild lebt der kleine Mann

Dein Kontrapunkt ist ein Zusammentreffen
Von drei oder vier Düften
Während du vergehst wie der Rauch
Verkleinern sich die Klüfte

Heute, keine Spur mehr vom Karneval
Außer dem in Rio
Alles haben sie dichtgemacht
Kein Bordell mehr und kein Tanzsaal
Und die Mädels, die sich bei mir einst
Ihren Eintopf schnorrten
Machten sich davon und ließen sich
Per Schiff zum Parana verorten

Von soviel Sehnsucht scheint
Dir gleich jede Pfütze viel weiter
Und alles betrachtest du wie von einem Schiff aus
Von einer dritten Seite

Lass sie durch das Mühlrad
Dieser Milonga laufen, trickreich
Und mach sie deinen Erinnerung an
Den alten Alfredo Zitarrosa** gleich

Dieser faulen Bordellmisere und ihrer
Schmutzkruste gehöre dies Lied in spe
Jenen Mädchen, die härter sind
Als ein Paket Renomé
Und als eine dunkle Chinesin,
die Kerze des Heiligen nahm
und mich auf einer staubigen Klitsche
ins Gebet nahm
ins Gebet nahm…sagte ich: schee!

(*Pfütze nennt man den Río de la Plata)
(**Sänger aus Uruguay)
Übersetzung: Karin Betz

PERRA

HÜNDIN
(Sergio Gobi)

Wäre ich ein Taliban nennte ich sie treulose Hündin
Sie ist ganz schön dünn
Wie eine Afghanen-Hündin

Hündinnen wie sie hängen vom Himmel herab
Und erhellen Schiffbrüche
Vorprogrammierte Tragödien

Sie steckt bis zu den Brüsten im Magma der Welt
Die Hündin gebiert sie, regiert sie
Gedopt mit dem Blut des Sängers

Ich sah sie vom Flugzeug aus, wie sie da hing, allein
Auf jenem Flug Buenos Aires – Peking
Es war nicht auf den ersten Blick, es war dunkel
Es machte mich fertig, sie nicht zu sehen, und ich sah mich
Warum nennt man deine alte Abwesenheit „neu“?
Fragte ich sie, Berlin überfliegend
Mir antwortete ein Abgrund, ein Meerbeben
Und mein Herz lag schon in Trümmern und ich stürzte

Wäre ich ein Gigolo würde ich ihr das Herz brechen
Oder die blendendweißen Zähne
Wie der scheiß Tot

Die Hündin macht sich vor einem Meer von Spiegeln zurecht
Und verputzt dabei
Poetensteaks zu Mittag

Die Nacht sieht Sterne beim Schock wie ein Taxi mit Niemand
Die Hündin schlägt sich den Bauch voll mit
Tangoversen und Küssen von Barden

Ich sah sie vom Flugzeug aus, wie sie da hing, allein…


Übersetzubg: Karin Betz

MUSA

MUSE
(Sergio Gobi)

Maria bittet um etwas Unmögliches:
"Wenn du gehst, bleib hier!"
Sie sagt, dass sie möchte, dass ich sie sehe,
wenn sie allein ist
ist sie Vieles mehr

Margo wartet nicht auf dem Gehweg,
wenn sie dich küsst, siehst du sie nicht.
Sie sagt, sein und lieben ist genug
die Anwesenheit lügt
sagt sie ist drei

Ivonne ist nicht aus dieser Stadt,
wenn ich komme, ist sie nicht da,
wenn ich sie frage, wer gestorben ist,
antwortet etwas: die Einsamkeit.

Malena nistet in meinen Papieren
Besiegelt das Schweigen mit ihrer Stimme
Lerchenspuren im Flur
Rouge, Zigaretten
Unterwäsche

Laura sagt mein Kommen voraus
Es ist keine Tugend, sie zu sehen
eine Maffia des Herzens des Unmöglichen
macht sie sichtbar
sie ist eine Menge

Gricel ist nicht aus dieser Stadt
wenn ich komme, ist sie nicht da
wenn ich sie frage, wer gestorben ist
antwortet das Echo: die Einsamkeit


Übersetzung: Karin Betz, Katrin König-González

NERCA Y PELPA

FLEISCH UND KOKS
(Sergio Gobi)

Er promovierte zum Bullen in der Ramon Falcón*
Dachte, mit der blauen Uniform der Gosse zu entgehn
Unter die VIPs hat er’s bringen woll’n
Doch man hat ihn nur dem Ekeko** die Kippen klauen sehn

Marisa war so ne arme Trotzkistin im Café
Messingblond mit hellem Stirnlockenhaar
Wie für ihn gemacht, im Seidenkleid und geil auf Schnee
War sie ne rechte Aphrodite nach Zahlung in bar

Er rettete sie vor ner Razzia in der Bar La Paz***
Sie hatte die Wahl zwischen Paramilitärs und Bullenpack
Er gab ihr Koks und als sie sich vor Sucht vergaß
Fing er an und ließ sie anschaffen, der Drecksack

Eine argentinische Schönheit und bolivianischer Schnee
Mit solchen Trümpfen gewinnt man jede Partie
Er schlief nicht mehr, hatte alle Hände voll zu tun
Exzellentes Fleisch und Koks zu verschachern wie nie

Seine Händel waren sicher, doch zuviel ist nie genug
Mit zwei Zeitungen reingelegt und die Sache ging klar
Der Koks, den sie bei ihm fanden, war ein großer Betrug
Das Mädel übernahm dann gleich der Kommisar

Heut klebt er Plakate in den Bädern des Ex- „Marabú“
Im Winter vermisst er die gute Marisa
Und setzen ihm Hunger und Kälte allzu sehr zu
Wirft er sich in die Uniform und mampft auf Kredit ne Pizza



*Polizeischule von Buenos Aires
**Bolivanischer Gott des Überflusses, dessen Abbilder stets den Mund offen tragen, so dass man ihnen z.B. eine Zigarette hineinsteckt.
***Die Bar La Paz war ein Treffpunkt der linken Intellektuellen in den 1970er-80er Jahren, in dem die Polizei, bzw. die Paramilitärs nach subversiven Elementen suchte.
Übersetzung: Karin Betz

EL CARANCHO

DER RAUBVOGEL
(Sergio Gobi)

Flieg, Raubvogel
Flieg nur, Alter
Feste auf den Höfen
Es ist Karneval
Flieg, Raubvogel
Es ist Karneval
Feste auf den Höfen
Flieg nur, Alter

Die Wasser des Xibi-xibi
Sibila ist nicht mehr da
Wer füllt dir den Becher
Wer ist für dich da

Die Zuckerfabrik liegt dunkel
Und obendrein Stromausfall
Und die Miliz
Kommt im Lastwagen
Ganz dunkel die Zuckerfabrik
Schlagstöcke und Lastwagen
Die Miliz
Und obendrein Stromausfall

Alles kehrt zu Mutter Erde zurück
Pfützen von Chicha* und Qual
grab die Trommel aus
Denn schon ist Karneval
Ein Indianer Mädchen
Tanzt nicht die Zamba
Pfeift Leon Gieco

Die Schreie der Jungs
Ciao Karneval
Ungeziefer im Charango**
wird Gestalt annehmen
Ungeziefer und Jungs
Ciao Karneval
Das Jammern im Charango
wird Gestalt annehmen

Die Gespielinnen des Hauses
Ganz verklebt vom Heulen
Beim Zwiebelschneiden
Hoffend, dass sie ein Teufel
Von dort wegraube

Mach dich fort, Raubvogel
Flieg weg von hier
Flieg weiter bis Tumbaya
Mach dich nach Yavi
Geh fort nach Tumbaya
Brich auf von hier

Dort in den Sanddünen
Hört man die Disteln brechen
Die Trommel ist ein Begräbnis
Und riecht nach Schatten und Alkohol
Ein Indianer Mädchen
Tanzt nicht die Zamba
Pfeift Leon Gieco

(* Maiswein)
(**Lauten-ähnliches Zupfinstrument)

Übersetzung: Karin Betz

ODISEAS

ODYSEEN
(Sergio Gobi)

Komme pünktlich wenn ich mich nicht irre
Bin dieser Fremde jener von früher
Sag bitte nichts Kleine
Ich komme gerade nach Ithaka
Erzähl niemandem von meiner Rückkehr
Entkorke den Wein und deck den Tisch
Stell das Wasser auf kleine Flamme
Bin unterwegs

Wenn du wüsstest wie viel Meer ich geritten ohne Sattel!
Wie viel Meer und außerdem den Himmel!

Ohne Schwierigkeiten mit vollen Segeln
Wenn keine Sirenen luvwärts
Wenn Wind gegen das Vergessen
und das Leid weht
Einer dieser Tage Wellen kämmend
kehre ich zurück nur für dich
Web dein Tuch weiter
Lass sie links liegen

Wenn du wüsstest wie viel Meer ich geritten ohne Sattel!
Wie viel Meer und außerdem den Himmel!

Hatte unterwegs einige Verzögerungen
Fauna und Flora des Wahnsinns
und ein paar Streitigkeiten
mit den Kumpels den Schweinen
Wenn nicht deswegen
käme ich früher
War eingesperrt
Hab einen Riesen niedergemacht
Wenn man sich nicht was einfallen lässt
kommt man nicht zum Hafen

Wenn du wüsstest wie viel Meer ich geritten ohne Sattel!
Wie viel Meer und außerdem den Himmel!

Es ist eine Sache von Tagen ich bin nicht weit
Habe die Eltern angerufen (Wie gut man hört!)
Achte nicht so sehr auf ihn
unseren unerbittlichen Spiegel
Erschrick nicht wenn ich als Bettler komme
Nach so viel Fliehen, so langem Warten
Hinter diesen Falten
bin ich der ich war

Übersetzung: Karin Betz, Katrin König-González

ECLIPSE

MONDFINSTERNIS
(Sergio Gobi)

Du gehst raus, um die Nacht in der Wüste durchzumachen
anstelle des schwarzen Abgrundes bietet dir eine offene Bar
ihre Ration Schnaps an

Der Fluss webt die Luft in Downtown
der Himmel ist nicht derselbe, er hat eine Wunde
-monoxid und indigoblau- von Ecke zu Ecke

Mädchen mit Knöpfen aus Basalt
protzende Lippen mit Asphalt bemalt
die mit Mottenkugeln Billard spielen

(Unglückliche Nacht: Worüber lachst du?)

Der Fluss überschwemmt den Himmel, der dich erwartet
das dunkle Klacken der Absätze schlägt Alarm
der Mond, der die Waffe auf dich richtet
verschüttet sein Teer auf dem Gehsteig

Seine ungreifbaren Augen sind Lidstrich-Ellipsen
über dem Schwarz des Abgrundes
und du machst dir vor Angst in die Hosen, Egal
Du steckst schon mittendrin. Es ist Mondfinsternis

Mädchen mit Knöpfen aus Basalt
protzende Lippen mit Asphalt bemalt
die mit Mottenkugeln Billard spielen

(Umgekehrter Mond,
was sagst, was erzählst, was schweigst, was hast du?)

Sein dunkler Honig quetscht dich in eine Umarmung
und trägt dich schwebend, Schritt für Schritt
liebevoll und pervers, in den Ruin

unten das Himmelbett muss dafür geradestehen
du hast es so eilig in die Kiste zu steigen
dass du dir die Birne am Rinnsteig zerschlägst

(Hallo, meine Liebe. Tu mir den Gefallen
Mach auf! Ich hatte eine schwarze Nacht)


Übersetzung: Katrin König-González

IPIRANGA

IPIRANGA*
(Sergio Gobi)

Eine Fabel ist das, woran man sich erinnert und benennt
Alle Erinnerung ist Erfindung
Die man zu einem Lied der Sehnsucht zwischen
Streifen von Sonne und Schatten flicht

Ich fürchte, dass ihre blaue Cord-Haut
Niemals existiert hat
weder jenes Sao Paolo bei Sonnenuntergang
aus meinem Glas trinkend als ich Adieu sagte

Ich spiele nach Gehör
Einen Chôro der Liebe
Ich weine und vergesse
Die Tränen sind nichts als Schweiß
Ein Chôro als Mantel
„Schreib mir schnell, bitte!“
„Weine bitte nicht“ sag ich ihr
Ein Kuss und weg bin ich
Gehe die Ipiranga Straße hoch
Gleich geht die Sonne unter
Ich steige in den Convoy

Ich erinnere mich nur an die Statisten
Ein VW Käfer, eine Bar ein blaues Gesicht
bettelnde Kinder, eine Lehrerin, der Bahnhof
der Bus nach Foz do Iguazu

Nichts überlebt alles vergeht und die Blume
Kehrt ganz welk zu mir zurück
Hatte einen Beruf und eine Rasse eine Liebe
Ein Haus dort in Morumbi**

Ich spiele nach Gehör….

(* Allee von Sao Paulo)
(**Stadtteil von Sao Paulo)

Übersetzung: Karin Betz

PROMESA

VERSPRECHEN
(Sergio Gobi)

Gib mir dein Wort
Ich werde es behüten
Ich werde es einwickeln
Mit einem Schweigen erster Güte
Und danach, am Tage
Werde ich es verkünden

Gib mir dein Wort
Ich werde es zum Leben erwecken
Zwischen dem Versprechen
Und der Tat gibt es keine Brücke
Deine Stimme, entzückend
Wird Stimme sein

Das gegebene Wort
Gesprochenes Licht
Das deutliche Wort
Das nichts hält
Trägt mir deine Seele zu

Gib mir dein Wort
Lass es zu mir herüberwandern
Lass mich Teil
des Konzerts werden
Das Instrument sein
Das es vibrieren lässt

Gib mir dein Wort
Ich werde es ausbrüten
In meinem Blut
Es wird mir Sprache verleihen
Traurigkeit und Mut
Wenn du nicht da bist

Das gegebene Wort…


Übersetzung: Karin Betz

PLAZA CORTÁZAR

Plaza Cortázar*
(Sergio Gobi)

Geh auf die Straße hinaus
Zünde mir ein Pfeifchen an
Wie schaut’s denn drüben in der Bar so aus
Die Honduras-Straße weicht dem Platz aus
Auf dem der Karnevalszug sich breit macht
Man hört sie trommeln „Dreist aus Gewohnheit“
Die Haut erschrickt vor der sich betrinkenden Nacht
Sie sieht mich nicht an, meine alte Liebe
Wie sie vorbeifährt im Bus nach San Juan

Immer dasselbe auf dem Plätzchen
Die Machos finden sich ein Schätzchen
Die Bierflasche unterm Arm wie ne Thermos
Besaufen sie sich in den Straßen Palermos**
Alles trifft sich auf der Plaza
Und macht einen auf Borges und Cortázar
Und in den Halluzinationen nach einem Joint
Sind sie Patricio Rey***

Yuppies, Bolschewiken
Und eng umschlungene Paare
Eine Transe bittet zwischen den Autos zum Ficken
Zu den Musen flehend bestell ich ein Bier
Lasst mich nicht allein am Tisch hier
Denn im versiegenden Glanz der Lichterboten des Mondes
Schreibe ich die Noten der Candombe, ein Tanz für den Platz
Freaks, Bullen, Huren - und irgendein Tangotänzer
Hinterließ in der Viruta**** seine Spuren

Schon wird es hell
Schon rufen die Zeitungsverkäufer
Stühle werden auf die Tische gestellt
Das Restaurant macht zu und der Kiosk von Francis
Sechs Uhr und vorbei die Nacht, du
Riechst die Haut, die vom Sommer verbrannt ist
Und an der Ecke die Frucht, die ein Mädchen anbiss
Alles erbleicht - ich gieße mir eine Erinnerung ein
Die ich trinke und genieße: die Nacht weicht


Immer dasselbe auf dem Plätzchen….


*Platz in Buenos Aires, benannt nach dem Schriftsteller Julio Cortázar (1914-1984)
**Stadtteil von Buenos Aires
*** Sehr populäre argentinische Rockband
****Populäre Milonga (Tangosalon) in Palermo


Übersetzung: Karin Betz

APUNTES DE LA ERA GLACIAR

SKIZZEN AUS DER EISZEIT
(Sergio Gobi)

Ich tanzte mit deinem Schatten und trat auf ihn
aus diesem Fehltritt wurde eine neue Eiszeit geboren
das Unantastbare führte mich in Versuchung
und ich glaubte dich zu berühren aber
außer deiner Steppenhaut
soweit ich weiß
ist die Welt etwas Fassbares
Inoffensives, Gutes

Ich schaffte es, deine Abwesenheit zu erhaschen und klonte sie
Ein glückliches Volk das heute in langsamen Salzkörnern danieder fällt
Ist dein weißes Inventar und man muss sehen
entfernte Zwillingsschiffe
sind deine alten Schuhe
im eiskalten Meer diese gekalkten Hofes

Da ich keine Kohle habe, esse ich zu Mittag
die Nase des Schneemanns
der graue Himmel entblättert diese Schuppen Gottes
sie liebt mich - sie liebt mich nicht
Ich weiß nicht wie das Früher war
das Danach ist keine Liebe
(nach der vereisten Arterie der Tage)
Als ob ich nie den Schmerz kennen gelernt hätte
ich sage dir: das deinige ist meine Sache

Ich ritt ohne Kurs und gab mich auf
seltsamer Obstgarten der deiner winterlichen Goldfrüchte
außer des eiskalten Bissens den ich raubte
außer dir und deinen Macken
und bevor alles explodiert
die Welt ist verdaulich
Inoffensiv und gut

Um Milonga zu bellen muss man mit dem Gen geboren sein
das darauf besteht in den Schwanz zu beißen wie ein Hund
auf dem schmalen grauen Gehweg ohne Sonne
Asche des Sommers
Ich weiß nicht wie das Früher war
das Danach ist keine Liebe
(nach der vereisten Arterie der Tage)
Als ob ich nie den Schmerz kennen gelernt hätte
ich sage dir: das deinige ist meine Sache

Übersetzung: Katrin König-González